Austausch mit dem Autor Benedict Wells – Ein Projekt des LK 11D2
Unser Unterricht war geprägt von Diskussionen über Themen wie Einsamkeit, Verlust und zwischenmenschliche Beziehungen. Angesichts dieser Parallelen und unserer Neugierde kamen bei uns folgende Fragen auf:
- Warum haben einige weibliche Charaktere, insbesondere Liz und Alva, eine problematische Beziehung zu Männern?
(…) Man könnte die Frage aber genauso gut herumdrehen: Warum haben viele männliche Charaktere ebenfalls Schwierigkeiten mit gelungenen Beziehungen?
Die Antwort im Buch ist für mich, dass diese genannten Charaktere allesamt Versehrte sind. Sie sind mit Brüchen und Rückschlägen aufgewachsen, hatten selbst keine intakte Familie zu Hause. Beim Schreiben mag ich Figuren mit starken Konflikten, solche, die unberechenbar sein können, widersprüchlich, fehlerhaft, suchend. Hätten sie alle wunderbaren, lebenslangen Beziehungen ohne Konflikte – dann hätte ich diese Geschichte schon deshalb nicht erzählen können, weil es gar keine Geschichte gegeben hätte
- Sind manche Charaktere von Personen in Ihrem Privatleben inspiriert?
Ja. Aber transformiert. Viele Gefühle im Roman sind echt, ich habe mit ihnen die Geschichte geschrieben. Das, was auf den Seiten passiert, ist dann fiktiv, aber die Tinte ist echt.
- Konnten oder sogar durften Sie etwas nicht in Ihren Roman einbringen?
Nein. Schwierig war allerdings die Szene, in der die Kinder sich von der sterbenden Mutter verabschieden. Da stand sechs Jahre lang mehr oder weniger nur dieser Satz im Buch „Sie hatten sich von ihrer Mutter verabschiedet“. Irgendwann dachte ich: Das ist feige, du kannst dich nicht wegducken, du musst es ZEIGEN.
(…) Ich wollte, dass Menschen, die Ähnliches erlebt haben, sich verstanden fühlen
- Was war der Anlass einen so ausgefallenen Charakter wir Romanov einzuführen?
Ich wusste, dass Alva mit einem älteren Schriftsteller verheiratet ist, und ich brauchte eine interessante, exzentrische, auch ambivalente Figur, denn das ganze Kapitel sind ja nur mehr oder weniger drei Personen in den Bergen. Meine erste Version von Romanow war noch nicht richtig, er war nur eine blasse Schablone, aber in einer späteren Fassung war er dann einfach da und hat allen erklärt, wie eine Seele aussieht.
- Was hat es mit dem Hund am Anfang und Ende des Romans auf sich?
Es symbolisiert den Zufall des Lebens, mit dem Jules erst nach und nach umzugehen lernt. Der Hund am Anfang starb durch ein Unglück früh, dem Hund am Ende war ein langes Leben beschieden. Das Leben, das ist beides.
- Woher beziehen Sie Ihre Inspiration für Ihre Werke?
Meistens aus meinem Leben, speziell aus Gefühlen, die ich hatte, aus kleinen Momenten, weniger aus großen. Aber genau weiß ich es nie, sonst könnte ich es beliebig reproduzieren. Ich gehe aber gern spazieren, höre mir Musik an und denke mir dabei Szenen für mögliche Geschichten aus.
- Was war die Grundidee hinter dem Roman?
Ich wollte zeigen, wie wir von kleinen und großen Erlebnissen in unserer Kindheit und Jugend geprägt werden. Es geht um das Unveränderliche in einem Menschen; um das, was im Verlauf eines jeden Lebens gleichbleiben würde, egal, was passiert. Aber auch um die Frage, ob es so einen unzerstörbaren Wesenskern überhaupt gibt und ob man, wenn man etwas von sich selbst verloren hat, es sich im Laufe eines Lebens zurückholen kann.
- Wie halten Sie Ihre Motivation aufrecht, vor allem bei dem langem Schreibprozess?
Das ist ein Auf und Ab. Aber mich hat immer motiviert, die Geschichte besser zu machen, Probleme zu lösen, den Figuren näher zu kommen. Ich wollte immer wissen, wie das Buch aussieht, wenn es fertig ist.
- Wie kam es dazu, dass Sie sofort Schriftsteller werden wollten?
Nach der Schule wollte ich mir deshalb eine faire Chance geben. Und das sind nicht zwei Monate VOR dem Studium. Das sind zwei Jahre OHNE Studium. Denn ich brauchte einfach Zeit, um das Handwerk zu lernen. Also habe ich tagsüber gearbeitet, als Kellner, Hotelportier oder bei einer Fernsehsendung – und nachts geschrieben.
(…) Heute würde ich sagen, dass es noch einen weiteren Grund gab, wieso ich Schriftsteller werden wollte: Mir fehlten als Jugendlicher, als junger Erwachsener oft die Worte für meine WIRKLICHEN Gefühle. Das Schreiben half mir, im Laufe von vielen Jahren diese Worte zu finden.
- Was hat Sie auf den Titel des Romans gebracht?
Der erste Titel war noch „Ein anderes Leben“, aber den gab es leider schon. Ich brauchte also einen neuen. Damals fragte mich ein Journalist auf einer Messe: „Alle ihre Figuren sind am Ende einsam – wieso ist das so?“ Ich wollte protestieren, dann ging ich im Kopf meine ersten drei Bücher durch und stellte fest: Mist, der Journalist hatte Recht, sie waren wirklich alle einsam – und es war mir nicht mal aufgefallen. „In meinem nächsten Buch geht es aber um die Überwindung von Einsamkeit“ sagte ich.
Für den Kurs 11D2 Bana Kiflom